…auf unserer Weltreise. Das Invaluable Diary hat schon einen ganz schön runden Bauch bekommen. Bald steht unsere Rückkehr bevor. Die letzten Tage genießen wir momentan in einem der einladenden Hotelresorts in Hurghada, versuchen das über fünf Räume reichende Buffet leerzuessen und den möglichst perfekten Tan zu erreichen. Als bei mir am zweiten Morgen meine halbe Beinhaut abpellte, habe ich es aber relativ schnell aufgegeben. All-inclusive in Hurghada, ein weiterer wahrer Kulturschock – dieses Mal in sonnenbrandrot und russischem Akzent. Trotzdem sind die betörende Langeweile und die Aussicht auf Sonnenbrand genau das, was wir am Ende der Reise brauchen, um unsere Gedanken zu sortieren, die letzten Videos aufzunehmen, ein paar Pläne zu machen. Wäre da nur nicht der Pool-DJ, der mit seinem MP3, auf dem offensichtlich genau vier Lieder gespeichert sind, einen Lärm macht, der wirklich jede Straßenkreuzung in Indien sofort in geordnete Reihen geschoben hätte.
Was hat sich geändert in den letzten neun Monaten? Die Welt dreht sich noch. Zwei Kriege wurden fast beendet, dann wurde es sich anders überlegt. Olaf Scholz ist immer noch Bundeskanzler. Dank der Tagesschau, die man auch über Spotify hören kann (guter Tipp für politisch interessierte Backpacker), konnten wir uns auf dem Laufenden halten und somit auch mit einem außerordentlich gut informierten Filialleiter der indischen Staatsbank in Darjeeling über zahlreiche Details deutscher Innenpolitik tratschen. (Die Frage „Wie ist das Wetter in Deutschland gerade?“ hat uns wiederum mehrfach kalt getroffen.)
Was hat sich bei uns geändert? Aufgrund der knallharten Rationierung von Leah – es war ein Fehler, dass sie unser Geld herumtrug – um das Budget einzuhalten, habe ich zehn Kilo abgenommen. Sind aber nach einer Woche in Hurghada wieder verdoppelt. In den letzten Wochen schlüpfte mein letzter Weisheitszahn aus seinem Versteck. Zum Glück habe ich ja eine Zahnärztin dabei. Untersuchung war wie folgt: Kurz mit dem Finger rumstechen [fängt direkt zu bluten an] – „Joa, damit musst du mal zum Zahnarzt.“
Was haben wir auf der Reise herausgefunden? Wir sind neun Monate herumgereist, um ganz am Ende herauszufinden, dass ein klassischer All-Inclusive-Urlaub uns doch der allerliebste Reisestil ist. Hätten wir doch mal andersherum angefangen. Tatsächlich war der erste Tag im Resort eine Wiederentdeckung von Bedürfnissen und Bequemlichkeiten, an die wir nicht mehr gedacht hatten, dass wir sie je genossen hätten. Hier im Resort gibt‘s Klopapier! Wir haben mehr als eine Steckdose (die nicht auf 2m Höhe im Raum hängt, sodass man praktisch gar nichts dran machen kann)! Es gibt ein Fenster, nicht zu sprechen vom Balkon mit Blick auf das Meer! Nicht mal Schimmel oder Ungeziefer, was man erst mit seinem eigenen deutlich müffelnden Multi-Use-Mikrofaserhandtuch (in den letzten Unterkünften hatten wir lange keine Handtücher mehr gestellt bekommen) wegmachen musste. Klar, wir hatten praktisch jede Unterkunft in Asien und Afrika nach genau einem Auswahlkriterium für geeignet befunden: dem niedrigsten Preis. Da kommt man mal in interessante Räumlichkeiten. Dadurch haben wir unseren Komfort stetig und deutlich heruntergeschraubt – wenn es auch tragisch ist, wie schnell man sich wieder an jeglichen Komfort gewöhnt.
Wir sind flexibler und belastbarer geworden. Weniger durch das Yoga-Retreat in Indien als durch das Wissen, dass es immer noch schlimmer geht. Verspätete Busse, weitere Tage ohne Waschmöglichkeit, schlechtes Wetter im Himalaya, ungenießbares Essen zum überteuerten Preis, geschlossene Trails, für die man zig Kilometer Umweg genommen hat. Da hilft manchmal nur stoische Gelassenheit, Abhaken und sich auf das Gute konzentrieren. Während ich das so niederschreibe, sitzen wir im Bus und werden aufgefordert, unsere Tagesrucksäcke im Bus, statt zwischen den Beinen in die Ablage zu quetschen. Dabei fällt mir eine Flasche auf den Kopf und mein Känguru-Pin reißt von der Kameratasche ab und verschwindet für immer in den Tiefen der Buslöcher. Wir schimpfen gegenseitig auf die blöden Busfahrer, nervigen Mitfahrenden und das blöde Land. Vielleicht sollte ich das „belastbarer“ wohl doch lieber löschen.
Wir haben mitbekommen, wie gut wir es haben. Wenn wir von arm reden, verstehen wir nicht wirklich, was das bedeutet. Man muss einmal in einem Dorf in Kenia gewesen sein, um zu verstehen, wie wenig manche Menschen haben. Wenn ich dort verzweifle, weil ich keinen Supermarkt finde, liegt es vielleicht daran, dass sich niemand etwas aus einem Supermarkt leisten kann und deswegen keiner existiert. Wenn wir einem Lieferanten die Summe um ein paar Cent aufrunden und er sich bedankt, als hätten wir ihn reich beschenkt, ist der Grund vielleicht, weil wir es wohl auch gemacht haben. Wenn die AirBnB-Vermieter auf dem gleichen Grundstück in einem Alu-Unterschlag leben, die in Deutschland nicht mal als Gartenhütte durchgegangen wäre, mit wer weiß, wie vielen Personen, wir haben mindestens vier gezählt. Ohne Strom, ohne fließend Wasser. Nicht wie wir mal aus Spaß, sondern, weil sie keine andere Wahl haben.
Aber es ist nicht nur der Materialismus, auch die Möglichkeit, an Informationen zu kommen, Institutionen zu vertrauen und Bildung zu genießen. Mir blieb besonders ein Schild aus Nairobi im Kopf: „Don’t believe what your village priest tells you“ oder so ähnlich. Außerdem denke ich an die ständige Lautstärke, an die teils ekelhaften Gerüche und an schlechte Infrastruktur. Für uns eine weitere Herausforderung auf der Reise, für andere das ständige Leben.
Wer weiß, wie lange wir über unser Leben in Deutschland dankbar sein werden können, bis wir uns angepasst haben, vergessen haben und uns wieder über eintägige Lieferverzögerungen unseres letzten Online-Shopping-Abenteuers ärgern. Meine bestellten neuen Laufschuhe sind immerhin pünktlich zuhause angekommen, gerade noch vor unserer Ankunft! Bis dahin genießen wir die sich pellende Beinhaut in der brütenden Sonne und das letzte leckere Abendessen, bevor es wieder zum Hotel Mama geht.