Leicht verspätet am Vortag des Holi-Festes stoppte unser Zug in Varanasi. Auch unsere deutschen Freunde Michelle und Bastian trudelten fünf Minuten früher im Hostel ein, mit denen wir uns zusammentun wollten, um den Folgetag zu überleben. Holi – ein farbenfrohes Fest, an dem die Gesellschaft zusammenkommt und für irgendeinen weniger bekannten Hintergrund mit Friede, Freude, Eierkuchen respektvoll Farben in die Luft wirft. Eierkuchen? Pustekuchen. So würde man als Nichtwissender vielleicht auch das deutsche Silvester beschreiben – bis man auf der Domplatte in Köln steht und einen Spießrutenlauf durch die Böller und Raketen unternimmt. Uns war bewusst, dass das indische Holi nicht den allerbesten Ruf hat. Aber einmal Holi in Indien feiern, darauf hatten wir Lust und war natürlich ein Muss.
Leah hatte schon einmal an einem Holi-Festival in Berlin teilgenommen, im Grunde genommen ein mittelmäßiges Musikfestival mit ein bisschen Farbewerfen. Sie war eher enttäuscht, dass man am Ende mehr grau-braun als bunt aussah. Das wollte sie in Varanasi nun mal anders erleben… Und keine Sorge, das würde sie auch.
Varanasi liegt am Ganges. Genau, es ist die heilige Stadt, wo sich die Hindus gerne im Fluss waschen, während zur gleichen Zeit an der Nachbartreppe ihre gestorbenen Verwandten eingeäschert und dann in den Fluss gegeben werden. Die Menschen vor Ort bestehen aus den folgenden drei Gruppen: Familienangehörige der Eingeäscherten, nackte Gurus, die sich mit Asche bemalen (ähm, woher nehmen sie die?) und der Rest sind aus irgendeinem Grund indische Touristen, die alle ausnahmslos aus Kalkutta kommen. Achja und dann noch die ganzen üblichen Scammer, Rikschafahrer, heilige Transgender-Menschen, die einen ziemlich grob das Geld aus der Tasche ziehen, und natürlich die Mr-ich-zeig-dir-einen-besseren-Aussichtspunkt. Und mittendrin: wir, die naiven westlichen Touris.

Nein, die Stadt versprüht ein ganz besonderes Flair und zog uns auch am Vortag von Holi direkt in den Bann. Unser Hostel lag in der ersten Häuserreihe mit Blick auf die berühmten Treppenstufen (Ghats) herunter zum Ganges, wodurch wir prima von der Hostel-Terrasse aus Menschengucken machen konnten. Nachdem wir damit fertig waren, stürzten wir uns selbst in das Getümmel aus scheinheiligen Gurus, heiliger Kuhscheiß… Ähhh heiligen Kühen, und denen, die es mit dem Tod aufnahmen, da sie sich im Ganges wuschen.



Unsere umfassenden Vorrecherchen und Fokusgruppeninterviews über Holi in Varanasi hatten folgende Informationen ergeben:
(1) Man bewirft sich mit Farben, also bräuchten wir noch Farbpulver.
(2) Man soll lieber morgens losgehen, weil nachmittags die Verrückten herauskommen.
(3) Man soll lieber nachmittags losgehen, weil vormittags nichts los ist.
(3.1) Man soll lieber nachmittags losgehen, weil vormittags die Verrückten herauskommen.
Trotz dieser eindeutigen Informationen fragten wir lieber noch einmal bei unserer Hostelrezeptionistin nach. Zu Punkt eins meinte sie, wir sollten AUF KEINEN FALL Farbe auf dem Markt kaufen, denn die wären alle chemisch und hochgiftig. Zur Frage der besten Zeit meinte sie, wir müssten gar nicht irgendwohin losgehen, denn wir würden ja im Hostel eine tolle Holi-Party feiern. Das klang zwar anders, als wir es uns vorgestellt hatten, dennoch waren wir halbwegs froh, nun eine Art Plan zu haben. Mit diesem Rat gingen wir also los, um uns organische Farben zu besorgen. Es verlief schwieriger als gedacht. Zwar wussten alle Käufer und Passanten, wo es die speziellen organische Farben gab, denn alle hielten ihre Finger in mehr oder weniger dieselbe Richtung, in die wir uns langsam, aber sicher hervorarbeiteten, aber erst nach einer guten halben Stunde hatten wir das versteckte Lädchen gefunden, dass sich brüstete ausschließlich mit organischen Farben zu handeln.
Sie seien sehr schwer zu bekommen, meinte der Ladenverkäufer. Das hätten wir mitbekommen, entgegneten wir. Umgerechnet 26€ wollte er für vier Farbboxen in der Größe einer Filmdose. Sie seien ja so schwer erhältlich und die künstlichen Farben würden außerdem Ausschlag oder Schlimmeres geben. Zu dem Zeitpunkt war uns mittlerweile klargeworden, dass es nicht viel bringen würde, wenn wir zwar organische Farben hätten, von fremden Leuten aber mit der künstlichen Pulvern beworfen werden würden. Und da der Ladenverkäufer sich nicht auf 20€ hatte herunterhandeln lassen, weil er dann ja kaum noch Marge machen würde, wie er behauptete, gingen wir etwas enttäuscht zum Hostel zurück.
Richtige Entscheidung. Laut Hostelinhaberin hätten die organischen Farben lediglich 50ct kosten dürfen – für 20€ hätte er den Rest des Jahres Urlaub nehmen können. Dafür war unser Problem gelöst, denn uns wurde nun vom Hostel versprochen, dass am nächsten Tag reichlich Farbpulver vorhanden sein würde. Doch noch erfolgreich in unserer einzigen Aufgabe des Tages verbrachten wir den Abend zwischen den lodernden Flammen der Verbrennungsstätten und dem Singsang der allabendlichen Zeremonien an den Ghats Varanasis, im ständigen Hüpfkästchen-Springen, um dem herumliegenden Kuhdung auszuweichen.
Der nächste Morgen kam schnell. Endlich war Holi-Tag. Um sieben Uhr sollten wir zum Frühstück erscheinen und deswegen saßen wir um Punkt sieben noch mit halbgeöffneten Augen in unserer weißen Einmalbekleidung am Frühstückstisch, bereit für alle Untaten. Um halb neun kam dann das Frühstück… Wieso wir schon um sieben Uhr da sein sollten, war uns ein Rätsel. Aber dies würde nicht die einzige Misskommunikation mit unserem Hostel bleiben. Um zehn Uhr sollte die vielversprechende Holi-Party starten. Es war nur lediglich der Fall, dass wir die einzigen Gäste schienen, die sie besuchen würden. Eine andere Gruppe aus dem Hostel, in der all unsere Hoffnungen lagen, hatte nämlich am Frühstück verkündet, bald auf die Straßen zu ziehen.
Wir waren zwiegespalten. Mehr und mehr wurde uns klar, dass es keine echte Party im Hostel geben würde und wir sowieso eigentlich das berüchtigte „Straßen-Holi“ erleben wollten. Leider war von den versprochenen Farben aber auch nichts zu sehen, ein ideales Druckmittel des Hostels, uns dort zu behalten. Leichte FOMO kickte rein. Als um kurz vor zehn wirklich noch nichts Partymäßiges lief, übten wir noch einmal Druck auf die liebe Hostel-Dame aus, die schließlich einknickte, ein paar Farb-Tüten herausgab, uns segnete und sich insgeheim unsere Gesichter einprägte, die sie eventuell später bei der Mordkommission beschreiben werden müsste.
Wir schlossen uns der spanischen Truppe an und liefen mit ersten Farbkleksen zu den Ghats in den Start unseres Holi-Abenteuers. Schon nach wenigen Metern begegneten wir einer ersten Gruppe Menschen. Sie erinnerten verdächtig stark an andere europäische Reisende aus unserem Hostel, waren jedoch mit der ganzen Farbe in Kleidung und Gesicht nicht mehr klar identifizierbar. Wir grüßten uns gegenseitig mit „Happy Holi“ und schmierten Farbe an die Wange. Langsam wich der Ekel vor der gefährlichen Kunstfarbe und beschwingt trafen wir auf die nächste Gruppe, die dieses Mal ausschließlich aus Indern bestand. „Happy Holi“ und mehr Farbe ins Gesicht. Dies wiederholte sich, manchmal alterniert durch eine Farbumarmung. So weit war es lustig. Immer wurden Selfies geschossen, teils wegen Holi, teils weil westliche Touristen, die sich gut in indischen Insta-Stories machten. Besonders Bastian war gern genommen und hatte dementsprechend schon einige Extralagen Giftfarbe im Gesicht und Nacken.
Plötzlich explodierte etwas nah an uns: Ein Farbbeutel, der von einem höherliegenden Haus geworfen wurde. Wir hörten lachende Kinder. Ab sofort mussten wir also einen Blick nach oben gerichtet halten, denn während das trockene Farbpuder noch annehmbar war, wollten wir wässrige Farbe nun wirklich nicht ins Auge bekommen.
Die Evolution von weiß zu bunt






Wir liefen weiter an der Promenade entlang Richtung Zentrum, mit genug Abstand zu den Werfern sowie auch zu der ekligen Brühe, die sich Ganges nennt. Es wurde voller und chaotischer. Während ein paar Gruppen einfach nett ein paar Worte wechselten und respektvoll Farbe ins Gesicht schmierten, nahmen einzelne andere die besondere Situation spürbar zum Vorwand, sich etwas mehr als nötig zu nähern, einen übertrieben zu umarmen und scheinbar leicht unterdrückte Aggressionen freien Lauf zu lassen. Basti bekam etwas zu viel Farbe ins Gesicht, mir wurde eine komplette Pulvertüte auf dem Kopf ausgeleert. Ich ärgerte mich um die Grünlastigkeit meiner bisher sorgsam kurierten Farbkollektion.
Als dann ein ausgelassener Kerl mit einer Wasserflasche voller Farbe ankam und diese über Michelle ausgießen wollte, sind wir dazwischen gegangen und sofort eskalierte die Stimmung. Er fand es nun gar nicht mehr lustig, dass wir uns wehren würden, die angebotenen Haue wurden aber von eingreifenden indischen Beistehern unterbunden. Wir hatten nun verstanden, was das Gefährliche an Holi ist: Das Fest der Farben und Freuden kann schnell kippen, wenn einige wenige Chaoten es übertreiben und die zugegeben unklaren Grenzen zwischen mir und dir überschreiten. Was verständlicherweise sehr schnell gehen kann, man denke an Karneval oder Silvester.
Wir drehten jedenfalls wieder um, in der anderen Richtung konnten wir auch ohne die Chaoten Farbe im Gesicht sammeln. Wir waren schon fast wieder auf Höhe unserer Unterkunft, als schließlich noch einmal jemand mit grauer Farbe in vollen Händen kam – ganz klar Asche und ich musste ihm ziemlich eindeutig zu wissen geben, dass ich keine Asche von sonstwas im Gesicht haben wollte. Seine Freunde fanden es tatsächlich auch nicht so lustig wie er, hinderten ihn aber nur unzureichend, sodass doch etwas Asche im Ohr landete. Mir reichte es und gab an, wieder in das Hostel zu kehren, um mir das Treiben aus der Distanz anzuschauen (und eventuell die ein oder andere Farbbombe zu werfen). Bastian und Michelle wollten noch einmal in Richtung der engen Gassen, kamen aber nach fünf Minuten zurück und sahen aus, als wenn sie einmal in Farbe getunkt worden wären. Dort war die Endschlacht ausgebrochen mit Snipern in jedem Fenster, die nur auf jedes unschuldige westliche Lamm warteten, um sie mit der schlimmsten unabwaschbarsten Farbe komplett ins Jenseits zu befördern.
Dann war Duschen angesagt. Aus den blonden Haaren ging die Farbe erstaunlich gut ab. Jedoch gab es Unterschiede, besonders lila und rosa waren hartnäckig. Nach einer halben Stunde waren bei uns die meisten Spuren beseitigt. Bastian und Michelle sahen nach der Dusche aber immer noch so aus wie vor der Dusche. Und wir dachten uns im Hinblick auf die geplanten Taj Mahal-Bilder am Folgetag, dass es eine gute Entscheidung war, nicht noch in die engen Gassen gegangen zu sein.
Den Nachmittag verbrachten wir in unserem „Party-Hostel“, warfen Leute auf den Straßen mit Farbbeuteln ab, fotografierten unsere Farbpracht und spielten noch etwas Karten. Abends war der Spuk tatsächlich vorbei und unerwartet diszipliniert warf niemand mehr mit Farbe herum, das hatten wir nicht erwartet. Somit haben wir uns getraut, den Weg in ein Restaurant zu bestreiten.
Unser ehrliches Fazit und Ratschläge an jeden, der einmal Holi in Indien feiern will:
- Kauft keine Farbe für 26€. Für den ganz lowen Budget-Traveller: Man greift einfach in die Tüten der anderen Gruppen.
- Eine Stunde reicht vollkommen, dass genug Farbe in Augen, Mund und Ohren gelangt sind und man einen guten Eindruck bekommen hat.
- Die Uhrzeit ist egal, es sind immer Chaoten unterwegs.
- Stattdessen lieber auf den Ort achten: Es macht am meisten Spaß an Orten, wo man die Möglichkeit hat, den Chaoten aus dem Weg zu gehen. Große Flächen oder Parks. In engen Gassen hat man keine Chance.
- Happy Holi! [Wisch Farbe auf die Wange]

Und zum Abschluss dieses Beitrags wäre vielleicht noch eine kurze Zusammenfassung angemessen, was die eigentliche Geschichte hinter dem Holi-Fest ist. Holi symbolisiert den Sieg des Guten über das Böse, den Frühlingsanfang und die Feier von Liebe, Freude und Versöhnung. Laut einer hinduistischen Legende befahl ein König seiner Schwester Holika, seinen Sohn zu töten, weil dieser lieber Vishnu statt ihn verehrte (das ist dieser Gott und ist für einen Hindu die bessere Wahl als seinen Vater). Die Schwester Holika lockte den Sohn vom König in ein Feuer, er konnte sich aber selbst retten, während Holika verbrannte. Deswegen wird am Vorabend von Holi ein Feuer entzündet, um den Sieg des Guten über das Böse zu ehren. Und das mit der Farbe kommt aus einer völlig unabhängigen anderen Geschichte, in der Krishna (hat man mal gehört) seiner Geliebten Farbe auf ihre deutlich hellere Haut schmierte, um die Unterschiede in den Hauttönen zu verwischen. Ein Symbol für Einheit und Gleichheit. Es gibt auch noch weitere Traditionen, wie dass Männer ein Schild bekommen und die Frauen mit dem Besen auf ihnen herumkloppen, aber diese Tradition haben Bastian und ich erfolgreich vor unseren weiblichen Begleiterinnen verschwiegen.
