Vor ein paar Tagen haben wir angekündigt, uns in das Hitchhiker’s Hell zu wagen, das berüchtigte Nord-Ontario. Uns wurde gesagt, es gibt niemand, der da überhaupt langfährt, und die wenigen Autofahrer wären unfreundlich und misstrauisch. Überhaupt sind so lange Distanzen zwischen den Orten, dass niemand es wagen würde, so lange jemand fremden bei sich mitfahren zu lassen. Nun ja, drei Tage später melden wir uns aus dem 3000km-entfernten Edmonton wieder mit der positiven Nachricht: Wir haben es geschafft!
3500 km liegen hinter uns und wir müssen sagen, so heiß war es in der Hölle aber nicht. Wir starteten in Gatineau, der Nachbarstadt von Ottawa, wo wir die Nacht verbracht hatten. Wir entschieden uns gleich erst einmal für die falsche Route. Statt in den sauren Apfel zu beißen, zwei Stunden mit dem Bus nach Kanata zu fahren und von dort direkt auf dem Trans-Canada-Highway Richtung Westen rasen zu können, dachten wir, es wäre schlauer, eine auf der Karte gut aussehende Abkürzung zu nehmen. Falsch gedacht, zweimal 1,5h Wartezeiten waren die Quittung auf einer wenig befahrenen Landstraße. Glücklicherweise rettete uns ein Niederländischstämmiger Kanadier auf die Südseite und brachte uns zum Trans-Canada-Highway.
Ein Ride nach Pembroke, wo wir am Nachmittag im Circle K Big Stop dinierten, ein guter Ort, um auf Langfahrer zu treffen. Wir rechneten uns nur noch geringe Chancen aus, weiterzukommen. Auf einmal hielt ein Auto, wir fragten, wohin er fährt: „NORTH“. Ein gutes Gefühl breitete sich bei uns aus, ohne genau zu wissen, wie weit North, stiegen wir erst einmal ein. Alex arbeitet bei der Canadian Pacific Rail und soll eine Woche lang Schienenhöhen messen. Dafür muss er immer in den Norden fahren und brachte uns knapp 6 Stunden auf unserem Weg weiter. Es war ein Traum, vor allem, weil wir bis 23 Uhr fuhren, also gewonnene Stunden nach Sonnenuntergang, die wir normalerweise nicht auf dem Highway stehen und warten würden. Wir haben uns sehr gut unterhalten und er hätte uns sogar noch weitergefahren, ein Zimmer bei sich angeboten und sich um uns gekümmert. Da wir aber doch auf dem Highway bleiben wollten, hat er uns stattdessen noch etwas beim Tim Hortons ausgegeben, was uns sehr berührt hat. Er arbeitet seit Jahren in zwei Jobs und wir wünschen ihm sehr, dass er in zwei Jahren seine verdiente Rente bekommt und dann endlich Zeit zum Reisen hat!
Übernachtung im Zelt am Hafen in Blind River, wieder nicht exzellent geschlafen, dafür aber morgens mit einem tollen Blick auf den Huron-See. Drei Rides weiter befanden wir uns dann in Wawa. Wawa? Das kannten wir irgendwoher. Ein paar Wochen vorher hatten wir in Halifax einen Piloten in einer Bar kennengelernt, der uns neben ein paar Tipps auch eine Nummer gegeben hat mit den Worten „If you ever get stuck in f***g Wawa“. Und tatsächlich, nach einem Hike und Essen verließ uns das Glück und die Sonne ging unter: wir waren stuck in Wawa. Also, mit leichter Aufregung schrieben wir eine SMS an diese unbekannte Nummer. Wenig später kam zurück: „Too bad that you got stuck. You can rent a cabin for 130€ per night”. Na klasse, danke für nichts.
Wir standen also auf dem Highway, es wurde dunkel, die Nacht sollte kalt werden, wir hatten schon die letzte Nacht unruhig gezeltet und Leah war leicht erkältet. Als ich dann einen Campingplatz in Fußläufigkeit gefunden hatte, war die Entscheidung schnell da: Wir gehen auf den Campingplatz. 40€ statt 130€.
Leider, leider sind wir mit diesem Schritt auf unserer Hitchhiking-Challenge vorläufig gescheitert, denn es hieß: keine Ausgaben für Unterkunft. In dem Moment war es uns aber völlig egal und wir genossen diese Mini-Cabin mit mobiler Heizung und Klappsofa wie ein 5-Sterne-Hotel.
Tags darauf drängelte Sönke, er fühlte, dass wir heute vielleicht noch länger in Wawa und somit im Hitchhikers Hell sein würden. Erst um kurz vor 11 (Sönke schüttelte nur den Kopf) begaben wir uns dann wieder auf den Highway. Zwei Stunden brummten die Autos an uns vorbei, kein Glück. Ist es wahr? Werden wir hier enden müssen? Wie fühlt es sich an, versteinert zu sein? An dem Punkt, als wir langsam nicht mehr daran geglaubt haben, dass Autos überhaupt noch Bremsen haben, war es soweit. Ein circa 5h Ride bis Thunder Bay! Raus aus dem schlimmsten Teil in Ontario! Noch vor Sonnenuntergang ankommen. Gute Gespräche mit einer Mohawk-Angehörigen, die auf dem Weg zu einem Jahrestreffen der First Nations-Stämme war.
Wir kamen abends mit Hunger an, stärkten uns im Supermarkt und gingen noch einmal an den Highway. Wer weiß, es gibt ja angeblich Leute, die einmal ganz durch Kanada fahren. Nebenbei suchte ich schon einmal einen Platz zum Zelten heraus. Dann, eine halbe Stunde Wartezeit hielt ein Ford F-150 Pick-up mit Alberta Kennzeichen. Wir konnten unser Glück kaum fassen, ab ging es und zwar direkt nach Edmonton! Unser Fahrer hieß Bedford und fuhr von Halifax nach Edmonton, in einem Rutsch – es war sein zweiter Fahrtag. Ein paar Stunden schafften wir es abends noch, dann hielten wir rechts an und Bedford spendierte uns ein eigenes Zimmer in einem Motel. Es war unfassbar, morgens sind wir noch zu spät losgekommen, dann haben wir schon ein Zeltplatz anvisiert und letztendendes schliefen wir in einem warmen einladenden Zimmer mit Dusche! Vielleicht liegt es daran, dass Bedford Wurzeln aus Neufundland hat und daher uns so lieb aufnimmt?
Am nächsten Tag ging es um 6 Uhr los, vor uns 17 Stunden Fahrzeit. Als Sönke anbot, zu fahren, lag Bedford praktisch schon in der Horizontalen auf der Rücksitzbank, um etwas Schlaf nachzuholen. „Have fun guys“ und schon tuckerten wir gemächlich in den Sonnenaufgang.
Grenze-Manitoba, die Bäume werden sporadischer, die Hügel werden zur Fläche, kurz vor Winnipeg ging es dann richtig los mit der weiten Prärie. Frühstück mittags in Brandon, Bedford ließ es sich nicht nehmen, es uns auszugeben. Tankstopp danach, noch 1000 km.
Dann Saskatchewan. Der Slogan dieser Provinz ist „Land of the Living Skies“. Genau das konnten wir erleben, denn kurz darauf zog es zu mit Wolken, regnete kurz, während auf der anderen Seite noch etwas himmelblau zu sehen war.
Pitstopp bei Subway, Bedford an der Kasse. Wie können wir ihm diese ganze Freundlichkeit zurückzahlen? „Haltet mich mit eurer Reise am Laufenden, das ist alles, was ihr tun könnt“. Während der Fahrt telefonierte er immer wieder mit seinen Familienmitgliedern und wir merken, was für einen Wert die Familie für ihn einnimmt und was er für sie tut. Wir vermissen unsere eigene Familie auch.
Dann Grenze zu Alberta, langsam wird es Zeit anzukommen. Die Ungeduld wächst, die Sonne geht unter und spätabends kommen wir sicher und glücklich bei unserem Freund Brian an. Wir wollen Bedford noch einmal treffen während unserer Zeit in Edmonton und seine Familie kennenlernen, die sehr viel Glück mit ihm haben müssen.
Das längste Stück Trans-Canada-Highway ist nun geschafft, von hier ist es nur noch ein Katzensprung bis zum Pazifik. Wir haben etwas Zeit gewonnen und wollen damit noch ein bisschen was sehen im Westen Kanadas.
In jedem Fall ist unser Fazit zum Hitchhikers Hell, dass wir es lieber als Hitchhikers Roulette definieren würden. Sicherlich kann man dort schnell im Nichts stranden und es kommen wirklich fast nur LKW-Fahrer und Wohnmobile vorbei, die einen nicht mitnehmen. Aber es ist halt auch der Highway für alle Trans-Kanada-Reisenden, die dann weite Strecken machen. Und wenn man geduldig bleibt, kommt einem irgendwann die Chance. Uns wird immer gesagt, dass unser Glück ist, dass wir klar sichtbar ein Pärchen auf Reisen sind, was sicherlich einladender rüberkommt als ein heruntergekommener Hippie. Leider spielt sicherlich auch die Hautfarbe und die Vorurteile eine Rolle. Dennoch gibt es auch einige Menschen, die keine Unterschiede machen und deswegen wollen wir jedem, der sich ins Hitchhikers Roulette wagt, viel Glück und Geduld wünschen. Die an einem vorbeiziehende Landschaft von der Seen-Region in Ontario über die Prärie zu den Rocky Mountains ist es in jedem Fall wert.
Klappt ja wirklich super bei Euch. Weiterhin so viel Glück, Spass, tolle Eindrücke und Erlebnisse sowie viele nette Kanadier im Westen.
Jasmin & Micha