Herumwandelnde Geldautomaten

Die meisten Menschen haben wir auf der ersten Hälfte unserer Weltreise kennengelernt. Seitdem wir mehr im globalen Süden unterwegs sind, fällt es uns merkbar schwerer, aufrichtige Konversationen mit Fremden zu führen. Hier und da überraschte mal ein überaus aufgeschlossener und interessierter Taxifahrer in Kuala Lumpur mit kritischen Fragen über den Nationalsozialismus oder Mohammed, der selbstlose Ägypter, der uns über Couchsurfing fand und uns 10 Stunden den ganzen Tag lang durch sein Kairo führte, bis er uns tatsächlich so laufmüde bekommen hatte, dass wir abwinken mussten – er wiederum schien die Nacht noch vor sich gehabt zu haben.

Stattdessen kann man unsere Gesprächspartner gut in drei Gruppen einteilen: die Dienstleister, Gleichgültigen und die Abheber. Die Dienstleister sind die, die wir für irgendetwas bezahlt haben: Safari-Guides, Restaurantmitarbeiter, Hotelleute, Freundin (Scherz, Leah). Sie sind meist freundlich, werden ja auch dafür bezahlt, können gut Englisch und sagen immer das, was man hören will. Konversationen sind immer super authentisch, vor allem, wenn man dann die speziellsten deutschen Vokabeln hört („This is a Eisvogel, very farbenprächtig right?“). Die Gleichgültigen sind jene, die aus irgendeinem Grund mit uns reden müssen, sich aber nichts aus uns machen: Ticketkontrolleure, Grenzbeamte, vorbezahlte Taxifahrer (außerhalb Ägypten) zb über UBER. Die Konversation beschränkt sich auf „Ticket!“, „Wrong seat“, „How pronounce your name? Schenke?“ und „very heavy bag!“.

Und dann sind da noch die Abheber. Sie sehen uns als herumwandernde Geldautomaten und versuchen die ein oder andere kleine oder größere Bargeldabhebung. Dabei gibt es in jedem Land eigene Floskeln. Hier in Ägypten ist es eine klassischere: „How are you? Which country? Ahhh sehrrrr gut!! Do you want this Kette/hand soap/taxi to [4h entfernter Ort]? Very cheap“. In Kenia war es nicht gerade subtiler: „Welcome to Kenya! Do you like it? Yeees, many animals. Can you give me money?“

Aber solche gibt es überall, auch in Deutschland. In Kenia war es anders. Hunderte Kinder liefen zu uns, wunken und streckten den Arm zur Bettelgeste aus. Einmal saßen wir in einem verrosteten Bus, dem wir an jenem Tag mal den Matatus vorgezogen haben. Ich beugte mich zu zwei Damen vor uns und fragte, wohin der Bus führe und wo sie aussteigen würden. Sie lachten und antworteten, aber nicht mir sondern anderen Leuten auf Swahili. Vielleicht konnten sie kein Englisch. Ich fragte den nächsten, er bestätigte den Ort. Wenig später tickte er mich an und erzählte mir, er hätte Hunger und fragte nach Geld. Nachdem er eine Stunde später ausgestiegen war, setzte sich ein anderer Jugendlicher auf seinen Platz. Er fing direkt mit kurzer Konversation an, er sei Comedian und würde gerne auch international auftreten, ob ich nicht auch Kontakte in Deutschland hätte, was er dafür machen könnte, ob ich ihm mal Geld geben könnte, denn er hätte Hunger. Als wir wiederholt verneinten, saß er sich bald weg. Es waren keine Einzelfälle. Besonders in Kenia und Tansania sah man das deutliche Funkeln in den Leuten.

Diese Busfahrt war für mich ein Tiefpunkt der Reise durch Afrika. Wir wollten extra reisen wie die Locals, wollten in Kontakt kommen mit der Bevölkerung, Gemeinsamkeiten kennenlernen, doch jede Konversation lief in das gleiche Resultat, wir waren herumwandelnde Geldautomaten.

Warum? Wir waren doch die ärmsten Backpacker im Land, was hatten wir schon? Erstens hatten wir weiße Haut, sinnbildlich für ein Leben im Schlaraffenland (was im Vergleich zu ihrem Leben wohl auch stimmt) und zweitens hatten wir armen Backpacker wahrscheinlich immer noch mehr Bargeld an uns als die meisten auf ihren Konten. Das ist die Realität.

Aber wenn es nur der unterschiedliche Kontostand wäre, da wäre noch das kleine Fachwort „Post-Kolonialismus“. Zwar gibt es heutzutage keine Kolonien mehr (hust, Puerto Rico, französische Überseegebiete, Grönland), die Unabhängigkeitsbewegung in Afrika in den 1960ern verlief jedoch so ungeordnet, dass die meisten Länder in autokratischen oder militären Diktaturen landeten, die bis heute durch Korruption nur die Mächtigen profitieren lassen und die Armen künstlich arm halten. Was von der Kolonialzeit auch blieb, sind die Vorurteile, Rassismus und Verbitterung in beide Richtungen. Der Postkolonialismus untersucht, inwiefern Bevölkerungsgruppen heute von dem Kolonialismus geprägt sind.

Mein Gott, Sönke, drück dich mal weniger entwicklungsstudentisch aus! Ernsthaft, wenn man als Kind im ländlichen Kenia aufwächst und die einzigen Weißen irgendwelche westlichen altruistischen Damen sind, die ein paar tausend Dollar für den Bau einer Schule gespendet haben und dann noch ein paar Fotos machen wollen, mit sich in der Mitte von den vielen Kindern, die sie glücklich machen. Oder die unzähligen Safari-Autos gefüllt mit weißen Fototouristen, die ab und zu ein paar Dollarnoten aus dem Fenster reichen. Oder die Erzählungen, die man gehört hat vom Schwipp-Schwäger von der dritten Frau des Bürgermeisters, der nun in einem Pariser Vorort lebt und schwärmt, wie toll alles in Europa ist. Mal ehrlich, wie soll man dann erwarten, dass dieses Kind später als junger Erwachsener ganz unvoreingenommen mit einem dahergelaufenen und leicht müffelnden Backpacker über die örtliche Lokalgeschichte plaudern würde oder Vergleiche vom ländlichen Europa zu Kenia ziehen wollen würde. Da hätte ich auch die Hand aufgemacht.

Ich gebe keiner Person die Schuld für meinen Unmut in dieser Situation. Es ist das System, in der westliche Nationen mit Entwicklungsprojekten ihre weiße Überlegenheit demonstrieren, besser wissen, wie und wem zu helfen ist oder einfach gönnerhaft zu ihren adoptierten Elefantenbabies reisen, um instagramreife Fotos zu machen. Klingt zu weit hergeholt? Aber afrikanische Menschen haben doch gar nicht die Bildung und den Entwicklungsstand, um ihr Land auf einen ähnlichen Zustand wie wir Deutsche zu bringen, stimmts? Da müssen wir doch herkommen und helfen! Auf keinen Fall stimmt das, diese rassistische Vorstellung ist aber noch oft in ähnlicher Art verbreitet. Es ist komplex, aber man kann pauschalisiert sagen, dass es oftmals mehr an den Möglichkeiten als an der Bildung fehlt. Und die Möglichkeiten sind nicht da, u.a., weil die eigenen Rohstoffe lieber zu Spottpreisen von ausländischen Firmen abgebaut werden (Hallo, Neokolonialismus, also eigentlich die gleiche Ausbeutung wie früher, nur ohne es so zu nennen) und Entwicklungsprojekte oftmals auf Teilprobleme mit begrenzter Laufzeit zielen, ohne Mitwirkungsmöglichkeit und Inhaberschaft der Locals. Ein toller Einblick bietet die lustig geschriebene Autobiografie des Comedians „Born a Crime“, die sehr zu empfehlen ist.

Warum haben wir kein Geld gespendet? Hätte es dem Einzelnden nicht geholfen? Sicherlich ist Geld nie schlecht. Aber mit Spenden würden wir nur bestätigen, dass man bei weißen Touristen gut abheben kann, dadurch Abhängigkeiten schaffen und nie auf gleicher Höhe mit jemandem ins Gespräch zu kommen.

Es ist nicht einfach, in Afrika zu reisen, ohne sich Gedanken über die Ungleichheit zwischen den verschiedenen Hautfarben zu machen, die einem an jeder Ecke begegnen. Während die Tierwelt unglaublich ist, kann ich nicht sagen, eine Kultur wie die kenianische genug kennengelernt zu haben, um eine Meinung gebildet zu haben, dafür war die Distanz zu groß.

Wir reisen also weiter zwischen all den Dienstleistern, Gleichgültigen und Geldabhebern und versuchen, zumindest hier und da mal den Local Preis zu zahlen. Ein paar ehrliche Menschen gibt es immer, denen dann nicht nur der passende Schein sondern ein aufrichtiges und ehrliches Danke von uns kommt, danke für das Zeichen, dass wir alle Menschen sind. Und auch, wenn wir als deutsche Staatsbürger gesegnet sind, zu den wohlhabendsten fünf Prozent der Weltbevölkerung zu gehören, gibt es kein Recht, das wir für das gleiche Tahine oder die Flasche Wasser den fünffachen Preis zu zahlen. Unsere Verantwortung ist eher, sich unserer guten Situation bewusst und ihrer dankbar zu sein, als auch darauf zu achten, was die Folgen seines eigenen Handelns sind. Schwierig genug.

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