Ein paar Tage im Paradies mit Brian

Manche Städte sind nicht die schönsten. Edmonton ist zum Beispiel so eine Stadt. Flach, weitläufig, kühl, schnell gebaut. Es gibt ein paar schöne Ecken in der Nähe des Flusses und Initiativen, die Umgebung zu gestalten.

Manchmal sind Städte schöner wegen der Menschen, die dort leben. Für uns ist das auch Edmonton. Ich habe Brian 2016 in der letzten Woche meines Kanadaaufenthalts kennengelernt. Ich saß im Tim Hortons Coffee Shop und schrieb an einem Blogeintrag. Ich war erfüllt mit Erlebnissen, Geldbeutel platt wie eine Flunder, und wartete praktisch nur noch auf meinen Rückflug nach Deutschland. Auf einmal sprach mich jemand an, was ich da schreiben würde und wie lange ich hier so unterwegs bin.

Das war schon öfter passiert, gerade mit dem Backpack habe ich immer wieder Blicke auf mich gezogen. Brian, ein pensionierter Lehrer und Schulleiter, hatte selbst in dem Moment (Erinnerung, es war 2016) einen Roadtrip mit Freunden durch ganz Kanada beendet. Sie sind in Edmonton gestartet und bis nach St. John’s auf Neufundland gekommen, von wo er wieder nach Hause fliegen würde.

Dass er gerade mich angesprochen hat, zeigt, wie sehr gelangweilt er da schon gewesen sein musste. Wir tauschten uns aus, besonders interessant fand ich damals schon, dass er einen Teil seiner Karriere als Schulleiter im hohen Norden Kanadas verbracht hat. Er fragte mich, wo ich denn schlafen würde und, da ich mehr oder weniger rumdruckste (ich hatte eigentlich vorgehabt, in einem Park mein Zelt aufzuschlagen), lud er mich kurzerhand in sein gebuchtes AirBnB ein. Dies war der Anfang von ein paar tollen Tagen in St. John’s mit Brian, in denen wir uns u.a. das George Street Festival und die Quidi Vidi Regatta anschauten. Normalerweise wäre es das gewesen. Man trifft tolle Menschen, verbringt ein paar schöne Tage mit ihnen und muss dann weiter, rückt sie langsam in die Vergessenheit. Nicht aber mit Brian.

Er begleitete mich in meinem weiteren Leben. Wir hatten mal wöchentlich, mal monatlich Kontakt und hielten uns auf dem Laufenden. Es kam mein neues Studium, Freundinnen und Freunde, neue Hobbies, meine ersten Jobs und Schicksalsschläge. Brian war auf Distanz immer mit dabei. Vielleicht gebe ich hier auch zu, dass er den ein oder anderen englischsprachigen Text korrigiert hat („Wow, your English is so good“). 2019 kam ich wieder nach Kanada und konnte ihn bereits einmal wiedersehen. Nun, acht Jahre nach unserem ersten Treffen im Tim Hortons, war es wieder so weit.

Nach den letzten Tagen im Staub des Trans-Canada-Highways (na gut, Bedford hatte uns ja ein Motel spendiert und uns im Tempo eines Formel-1-Fahrers nach Edmonton gebracht) war das hergemachte Bett im Wohnzimmer mit Blick auf den North Saskatchewan River Valleys im Herzen Edmontons sehr wohltuend. Nachdem wir uns von den Strapazen entspannt und sogar Nordlichter gesehen haben, waren wir bereit, um etwas in das frühere Leben des Brian einzutauchen.

Acht Fahrstunden nördlich von Edmonton lebt Brians Schwester auf einer großen Farm. Dies war unser erster Stopp auf unserem Roadtrip durch Brians Vergangenheit. Ich bin zwar auch auf dem Land aufgewachsen, bin praktisch aber nie mit Bauern in Berührung gekommen, außer, wenn wir den Fußball aus dem Getreidefeld hinter dem Bolzplatz holen mussten, immer in der Angst, gleich von einem Mähdrescher zu Brot verarbeitet zu werden.

In High Level wurden wir daher volle Kanne in die Welt der Farmer eingeführt: Riesenfelder, Riesenmaschinen, Riesengrundstücke, riesengroße Sammlung von Tierfallen (?!), dazu eine Landebahn auf jedem Grundstück. Der Ort High Level war nicht groß, deswegen war jeder Nachbar ein Vetter. Brians Cousins waren gerade fertig geworden mit der Ernte, daher hatten sie Zeit, uns die Maschinen zu zeigen. Und da im Hangar drei ungenutzte kleine Flugzeuge standen, befanden wir uns auf einmal in einer dieser Maschinen und wenig später im Rundflug über High Level, danke Kyle!

Brian hat uns erzählt, dass sein Vater damals aus England ausgewandert sei und ein riesiges Stück Land bekommen hat, was er dann erst einmal roden musste. Nicht mit den heutigen modernen Geräten, sondern mit Axt und Pferd. Er selbst ist zwar auf einer Farm aufgewachsen, hat aber zwei linke Hände geerbt. Zum Glück aller Farmer hat es ihn dann nach Edmonton gezogen, um Lehramt zu studieren. Trotzdem beeindruckte er uns mit seinem gesammelten Halbwissen über die Erntearbeit.

Ein paar Tage später fuhren wir dann weitere acht Stunden in den nun wirklich hohen Norden. Die Fahrt selbst war ein Highlight: Bisons auf dem Weg, verschiedene Vegetationsstufen, unter anderem abgebrannte Waldlandschaften, die teilweise noch geraucht haben von den Wildfires, die zwar normal sind, dennoch vom Klimawandel verstärkt sind.

Auf 62 Grad Breite liegt Yellowknife, Hauptstadt der Nordwest-Territorien, Einwohnerzahl 25.000. Brian wirkte dort als Lehrer und Schulleiter. Wir kamen bei seinen wundervollen Lehrerfreunden unter, die einige lustige und spannende Anekdoten herauskramten. Außerdem hatten sie das beste Apartment in ganz Yellowknife und einen unvergesslichen Blick über den Ort und den Great Slave Lake.

Warum zieht man nach seinem Studium im metropolen Edmonton nach Yellowknife und danach noch in weitere völlig abgeschiedene Communities und lebt und lehrt dort für Jahrzehnte? Brian erklärt uns, ihn hat diese Abgeschiedenheit gereizt. Wir können das nachvollziehen. Es hat etwas Aufregendes, wenn man seine Lebensmittel für den Winter im Frühling bestellt und dann hektisch doch noch mit den Nachbarn tauschen muss, wenn man sich mal wieder verkalkuliert hat. Oder wenn sich im Ort jeder kennt, sodass die Kinder über einen Facebook-Post zum Abendessen gerufen werden.

Brian erzählte uns aber auch über die Schwierigkeiten in den nördlichen Communities, in denen der Großteil der Menschen indigen sind und das System in Kanada aus der Geschichte heraus die Kultur der First Nations oftmals unterdrückt hat. Wir besuchten auch eine solche indigene Community auf unserem Weg. In Fort Providence standen ein paar heruntergekommene Häuser, daneben ein paar schönere, die von den „people from Ottawa“ bewohnt werden, die mit üppigen Gehältern eine kurze Zeit dort „die Ordnung aufrechterhalten“. Wir finden dieses Thema so vielschichtig, dass wir dazu einen eigenen Blogpost schreiben wollen.

Auf dem Rückweg hielten wir dann in Manning, wo Brian aufgewachsen ist, standen mit am Grab seiner Vorfahren, trafen kurz seine Kindheitsfreunde und besuchten dann eine weitere Schule im bildschönen Peace River. Brian hatte auch hier als Schulleiter gewirkt und hatte den jetzigen Leiter angestellt, der uns dann gemeinsam mit einer ehemaligen Schülerin, nun Vize-Rektorin die Schule gezeigt hat.

Es war eine Zeit wie im Paradies für uns. Nicht nur, weil Brian uns, großzügig und selbstlos, wie er ist, alles ausgegeben hat, sondern, weil die Erlebnisse etwas sind, das man weder auf TripAdvisor buchen kann, noch so eine persönliche Verbindung haben, wie durch unsere Freundschaft mit Brian.

Was uns unglaublich berührt und inspiriert hat, ist, wie viel Brians Freunde ihm bedeuten. Er widmet sein Leben praktisch seinen Freundschaften, vor allem jetzt in seiner Zeit als Rentner. Dabei hat er junge Freunde, die er zum Beispiel wahllos in Tim Hortons Coffeeshops anspricht, aufstrebende Musiker, denen er die ersten CDs kauft und sie nach Deutschland versendet (😉), oder auch Freundschaften aus seiner Kindheit und seinen ersten Arbeitsjahren, die so viel Vertrauen und Fürsorge aufzeigen, wie vor 50 Jahren.

Nun sind wir auf dem Weg in die kanadischen Rocky Mountains. Brian hat darauf bestanden, dass wir sein Auto nehmen, wir würden ihm „eine Fahrt abnehmen“, da er eh vorhatte, in Vancouver und dazwischen ein paar Freunde zu besuchen. Dass er uns noch selbstlos seine Kreditkarte in das Auto gelegt hat, damit wir bloß nicht unser eigenes Geld für den Sprit nutzen würden, sollte einen eigentlich nicht mehr verwundern…

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2 Kommentare zu „Ein paar Tage im Paradies mit Brian“

  1. Sabine Kopetzki

    Das ist einfach toll! Welche Gastfreundlichkeit und Großzügigkeit euch entgegengebracht wird, ist fast unglaublich, wirklich paradiesisch. Wünsche euch weiterhin super Erlebnisse.

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